In Bezug auf die Frage der Zugehörigkeit zu Deutschland und den Kriterien dieser Zugehörigkeit war ein Narrativ in unseren Konsultationen besonders häufig zu hören: All diejenigen, die dazugehören wollen und sich dazu bekennen, würden auch zur deutschen Gesellschaft dazugehören. Paradigmatisch für diese Vorstellung ist die Aussage unseres Gesprächspartners Hans Neuer (Pseudonym) aus Suhl:
„Also wer will, kann sich hier integrieren und da habe ich am aller wenigsten dagegen, aber der Wille muss schon erkennbar sein.“
„Vor allem in diesen ersten Wochen und Monaten“, meinte Hans Neuer mit Blick auf die Ankunft von Geflüchteten in der zentralen Erstaufnahmeunterkunft in Thüringen, „ging es ja drunter und drüber und dann gab es natürlich auch im erheblichen Maße kriminelle Auswüchse in dem unmittelbaren Einzugsbereich dieses Erstaufnahmelagers“. Die von Neuer in diesem Zusammenhang problematisierte Kriminalität in Suhl gilt dabei gerade nicht als Demonstration des von ihm geforderten Willens zur Integration, sondern als Ausdruck einer mangelnden Bereitschaft, sich zu integrieren. Interessanterweise sind es in dieser Vorstellung die ‚Unwilligen‘ selbst, die sich durch ihre Unwilligkeit ausschließen.
Der Blick auf die von Bergbau und Rüstungsbetrieben geprägte Stadt Suhl im südlichen Thüringen.
Seit 1990 ist die Bevölkerung in Suhl um fast 40% auf knapp 36.000 Menschen geschrumpft. Seit 2014 befindet sich dort die landesweite Erstaufnahmestation für Asylsuchende.
Was dabei leicht übersehen wird. Die Unterscheidung zwischen ‚Willigen‘ und ‚Unwilligen‘ wird nicht von den Zugewanderten, sondern von unseren Gesprächspartner/-innen selbst vorgenommen: Wer als willig gilt, bekommt Chancen auf Zugehörigkeit, wohingegen die als unwillig erachteten Personen von der Gemeinschaft ausgeschlossen werden.
Jens Dreher (Pseudonym), ein Gesprächspartner aus Schleswig-Holstein, formulierte es wie folgt: „Nicht wir müssten darum betteln, dass jemand Deutscher wird, sondern das muss jemand wollen.“ Während der Wille eine Notwendigkeit für die nationale Zugehörigkeit zu sein scheint, gilt die Unwilligkeit als absolutes Ausschlusskriterium. Es reicht allerdings nicht aus, nur dazugehören zu wollen: Aus dem Willen zur Integration müssen in dieser Vorstellung konkrete Handlungen resultieren. Wie Hans Neuer betonte, müsse der Wille für Außenstehende klar erkennbar sein und damit sichtbar demonstriert werden. Kurz gesagt: Es wird mehr gefordert als das bloße Ablegen eines Lippenbekenntnisses. Konkret forderten viele unserer Gesprächspartner/-innen, dass die Zugewanderten die deutsche Sprache lernen, einer Arbeit nachgehen und sich etwa durch die Mitarbeit in Vereinen gesellschaftlich einbringen.
Damit stellen sie zugleich das Versprechen in den Raum, dass all diejenigen, die diesen Forderungen nachkommen, irgendwann auch tatsächlich deutsch werden bzw. als Deutsche anerkannt werden. Jedoch erzählten uns in Deutschland geborene, migrantische Gesprächspartner/-innen, dass sie als nicht-deutsch wahrgenommen werden, obwohl sie all diese Forderungen erfüllen. In einer Art unendlichen Probephase bleiben demzufolge viele migrantische Deutsche ‚Deutsche auf Bewährung‘.
Während einige permanent durch ihre Handlungen beweisen müssen, dass sie es wert sind, deutsch zu sein, wird dies bei Personen, die von vornherein als deutsch gelten, nicht hinterfragt. Bei Letzteren spielt dann der Wille überhaupt keine Rolle: Selbst wenn sie nicht an der Gesellschaft teilhaben, keiner Arbeit nachgehen oder Straftaten begehen, wird ihnen zumindest das Deutsch-Sein nicht abgesprochen.